Liebe Leserinnen und Leser,
bei der Bekämpfung der Clankriminalität hat die Politik lange geschlafen, meinen die Polizeigewerkschaften. Deshalb dürfe man keine Wunder erwarten, auch wenn das Bundeskriminalamt den Ländern bei dem Thema jetzt unter die Arme greift.
Die Familiennamen unterscheiden sich, doch die Methoden sind ähnlich: Kriminelle Clans terrorisieren Hausbesitzer, verdienen im Drogengeschäft, begehen spektakuläre Einbrüche und rauben Geschäfte aus. Ihr illegal erworbenes Geld waschen sie dann in kleinen Gewerbebetrieben, investieren im Ausland oder bei in den Kauf von Immobilien in Deutschland. Als Käufer tritt dann oft ein mittelloses Familienmitglied in Erscheinung. „Clans„ definiert der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, „als ethnisch abgeschottete Subkulturen, die in der Regel patriarchalisch-hierarchisch organisiert sind und in einer eigenen Werteordnung folgen. Bei der Bekämpfung dieses Phänomens sei es hilfreich, dass seit 2017 auch Vermögen unklarer Herkunft leichter eingezogen werden könne.„
Dutzende kriminelle Familienclans existieren in Deutschland und sind teilweise für spektakuläre Straftaten verantwortlich.
Immer wieder stehen Familienclans wie Remmo, Miri oder Abou-Chaker in Verdacht, Straftaten zu verüben: Raub, Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel oder illegales Glücksspiel.
Bei den kriminellen Großfamilien in Deutschland handelt es sich vor allem um türkisch-arabische Großclans. Ihre Mitglieder zählen zur Minderheit der sog. Mhallamiye-Kurden und kamen in den achtziger und neunziger Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.0000 Menschen zu solchen Großfamilien, wovon aber nur ein Teil kriminell wird. Die meisten Angehörigen der kriminellen Familienclans gelten offiziell als arbeitslos und beziehen Sozialleistungen. Die meisten stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak und der Türkei. Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei, aus dem Libanon und aus Syrien stammen, sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
Nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen existieren allein dort über 50 kriminelle Familienclans. In Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen stellen die Polizei- und Ordnungsbehörden seit Jahren fest, dass Mitglieder krimineller Familienclans – teilweise in größeren Gruppenverbänden – durch aggressives Auftreten, Ordnungsstörungen und Straftaten die Bevölkerung einschüchtern und versuchen, bestimmte regionale Räume augenscheinlich für sich zu reklamieren. So berichten polizeiliche Einsatzkräfte von einer offenen Feindseligkeit, einer hohen und unmittelbar geäußerten Aggressivität, Respektlosigkeit und Gewalteskalation, die das Ziel verfolgen, behördliche Maßnahmen zu beeinflussen oder zu unterbinden.
Die einzelnen Familien agieren laut Lagebericht des BKA nicht in ganz Deutschland, sondern konzentrieren sich auf regionale Schwerpunkte. Mehr als zwei Drittel aller Ermittlungen erfolgen in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und Berlin.
Immer wieder sorgen spektakuläre Straftaten, hinter denen Clans stecken, für Schlagzeilen. Im März 2017 wurde die „Big Maple Leaf„, eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze, aus dem Berliner Bode-Museum entwendet. Ihr Wert: gut vier Millionen Euro.
Im November 2019 drangen sechs Maskierte in das Grüne Gewölbe in Dresden ein, stahlen einzigartige Kunstwerke von unschätzbarem Wert. Zwei der sechs Angeklagten, die allesamt aus der Remmo-Familie stammen, wurden bereits für den Raub im Bode-Museum verurteilt, hatten aber ihre Strafe nicht angetreten.
Mord, Drogen, Raubüberfälle, Schutzgelderpressungen: Kriminelle Familienclans haben in Deutschland in den letzten Jahren Rockerbanden und die Mafia aus den Schlagzeilen verdrängt. Immer häufiger geraten Akteure der Clankriminalität in die Berichterstattung. Bei fast allen Razzien im Bereich krimineller Familienclans in den vergangenen Monaten in Deutschland stieß die Polizei auf Illegales. Bei diesen Razzien ging es unter anderem um illegalen Waffenbesitz, Drogenhandel, Schwarzarbeit, Steuerbetrug, Diebstahl, Körperverletzung und Erpressung. Prof. Dr. Goertz stellt in seinem Beitrag auf Seite 6 die staatlichen Gegenmaßnahmen zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität vor.
Etwa 3.000 Polizeibeamte, darunter die polizeilichen Spezialkräfte GSG 9 und SEK mehrerer Landeskriminalämter, führten in den frühen Morgenstunden des 7.12.2022 150 Razzien in elf Bundesländern bei 54 mutmaßlichen Mitgliedern einer gewaltbereiten „Reichsbürger„-Gruppe durch, 25 Personen wurden festgenommen. Welche Ziele diese terroristische Vereinigung sich gesetzt hatte, erläutert Prof. Dr. Goertz auf Seite 8.
Die Polizei Stuttgart geht in Sachen Sicherheit neue Wege und betätigt sich aktiv in der Sicherheitsforschung. Im Projekt ESCAPE entwickelt die Polizei in Zusammenarbeit mit Forschungsinstitutionen eine Software, um die Räumung großflächiger Areale realitätsnah simulieren zu können. Vor allem dann, wenn mehrere Großveranstaltungen gleichzeitig geräumt werden müssen, wird die Lage schnell komplex. Nico Pointner berichtet auf Seite 16 über das Forschungsprojekt und die Ziele, die mit der Entwicklung der Software verfolgt werden.
Schleichend hat sich die Zahl der Drogentoten in Nordrhein-Westfalen innerhalb weniger Jahre mehr als verdreifacht - auf zuletzt fast 700 im Jahr 2021. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr starben in NRW im gleichen Jahr bei Unfällen 425 Menschen. Bundesweit wäre die Zahl der Drogentoten 2021 sogar rückläufig gewesen, wenn man Nordrhein-Westfalen herausrechnet. Die möglichen Ursachen und Gründe für den Anstieg stellt Frank Christiansen in seinem Artikel auf Seite 22 vor.
Wer Drogen in ein Land bringen will, nutzt dafür nicht unbedingt verschlungene Trampelpfade oder geheime Meeresrouten. Vieles kommt einfach auf dem Postweg. Der Zoll steht vor einer Flut aus Paketen - und muss die richtigen aus dem Verkehr ziehen. Jonas-Erik Schmidt gibt einen Einblick in die Arbeit des Zolls auf Seite 24.
Deutschland ist ein sicheres Land - aber das empfindet längst nicht jeder überall so. Insbesondere im öffentlichen Nahverkehr fühlen sich viele nachts unwohl, Frauen ganz besonders. Das geht aus dem Bericht «Sicherheit und Kriminalität in Deutschland» des Bundeskriminalamtes hervor. Martina Herzog befasst sich mit den Ergebnissen in ihrem Beitrag auf Seite 28.
Eine geplante Polizeiwache am Kottbusser Tor - im Zentrum von Berlins Alternativ-Bezirk Kreuzberg - soll für mehr Sicherheit sorgen. Doch es regt sich auch Widerstand. Was sagen die Leute aus dem Kiez? Andreas Rabenstein und Jakob Milzner dokumentieren die Befragung der Passanten auf Seite 34.
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